ENN in Bad Schandau (September 1943 bis Kriegsende 1945)

 

Zitat 1: „Im August 1943 kam Hollenbach in meine Redaktionsstube und fragte mich, ob ich Lust hätte, Mitarbeiterin des Illustrierten Blatts zu werden. Begeistert sagte ich zu. Als Nebeneffekt gab es sogar noch etwas mehr Geld als vorher – 1.000 Reichsmark. […] Die Stadt Frankfurt verließ ich allerdings wieder. […] [In Bad Schandau in der sächsischen Schweiz] richtete ich mich, im September 1943, bequem ein und verbrachte dort einen guten Teil der letzten eineinhalb Kriegsjahre. […] Von meinem Blockhaus in Bad Schandau aus unternahm ich mehrmals Reisen nach Krummhübel im Riesengebirge. Dorthin war ein Archiv ausgelagert worden, das ausländische Zeitschriften sammelte, an die man in Deutschland sonst nicht herankam. [...] Ich genoss diese sonst verbotene Lektüre und zog daraus viele Anregungen für meine Artikel im Illustrierten Blatt und im Frankfurter Anzeiger. […] Im Spätsommer 1944 begann ich, anonym, Fortsetzungsberichte für Tele [eine Propagandazeitschrift des Auswärtigen Amtes] zu schreiben, etwa eine dreiteilige Serie über die Geschichte von ‚Pan American Airways‘. […] Ich erinnere mich daran, dass ich eines Tages Besuch von einigen hohen Beamten des Auswärtigen Amtes bekam (es hatte irgendetwas mit Tele zu tun).“

Quelle: Elisabeth Noelle-Neumann: Die Erinnerungen, München: Herbig 2006, S. 118-119 und 122.

Zitat 2: „1944/45: Wie ein Brief von ENN an Friedrich Sieburg vom 20. März 1944 aus dem Deutschen Literaturarchiv Marbach dokumentiert, wohnte ENN in Bad Schandau unter der Adresse Ostrau 39k. Zeitgleich zu ENNs Aufenthalt in Bad Schandau befand sich dort die gesamte Mitgliederkartei der Auslandsorganisation (AO) der NSDAP und zeitgleich mit ENN wohnte in diesem Ort in der Villa Hillehof Ernst Wilhelm Bohle (1903-1960) mit seiner Familie und einem Referentenstab von wenigstens fünf Mitarbeitern. Bohle war Gauleiter der Auslandsorganisation (AO) der NSDAP, zeitweise Staatssekretär im Berliner Auswärtigen Amt (AA) unter Außenminister Joachim von Ribbentrop (1893-1946) und später Angeklagter im Nürnberger Prozess. Bad Schandau hatte damals nur 350 Einwohner und zwischen den Adressen von ENN Ostrau 39k und Bohle im Ostrauer Ring 1 lag ein Fußweg von nur zehn Minuten. Sowohl ENN als auch Bohle waren USA-Experten, beide kamen aus Berlin, und während ihrer Zeit in Bad Schandau arbeitete ENN für eine Propagandaillustrierte des AA, also Bohles Ministerium.“

Quelle: Becker, Jörg: Elisabeth Noelle-Neumann: Zwischen NS-Ideologie und Konservatismus, in: Proske, Wolfgang (Hrsg.): NS-Belastete aus dem Süden des heutigen Baden-Württemberg, Gerstetten: Kugelberg Verlag 2018 (= Täter – Helfer – Trittbrettfahrer, Bd. 9), S. 305-306.

Frage 1: Für den Zeitraum, in dem ENN in Bad Schandau wohnte, lassen sich bislang nur vier Zeitungsartikel bibliographisch nachweisen. Wofür hat ENN ihr stattliches Monatsgehalt von 1.000,00 Reichsmark vom Verlag der „Frankfurter Zeitung“ erhalten?

Frage 2: Von 1943 bis 1945 waren große Teile des Auswärtigen Amtes (AA) aus fast allen Abteilungen in den kleinen Ort Krummhübel (heute: Karpacz) in Niederschlesien ausgelagert. War das von ENN erwähnte „Archiv, das ausländische Zeitschriften sammelte“ Teil des AA in Krummhübel? Und wenn ja, warum erwähnt sie das AA in ihren Erinnerungen nicht? Warum kannte ENN, eine junge Frau mit keinerlei hierarchischer Funktion im NS-Journalismus und im NS-Verlagswesen, „hohe Beamte“ aus dem AA?

Frage 3: Wie wichtig dieser Teil des AA in Krummhübel war, mag man daran ermessen, dass in Krummhübel am 3. und 4. April 1944 eine geheime Judenvernichtungskonferenz des AA stattfand. (Nach den drei Wannseekonferenzen 1942 zur Judenvernichtung ist diese vierte Judenvernichtungskonferenz von 1944 der Öffentlichkeit kaum bekannt.) An dieser Judenvernichtungskonferenz gab es einen NS-Teilnehmer, den ENN persönlich kannte, nämlich Prof. Dr. Franz Six (Amerikanist, Leiter des Auslandswissenschaftlichen Instituts in Berlin und SS-Brigadeführer). Kannte ENN einen weiteren Teilnehmer, nämlich Hans Otto Meissner (SS-Mitglied, NS-Diplomat, Sekretär an der Deutschen Botschaft in Tokio von 1936 bis 1938 und 1944 Judenreferent am Deutschen Generalkonsulat in Mailand) und hatte sie ihn möglicherweise bei ihrem Aufenthalt in Japan an der dortigen Deutschen Botschaft im Herbst 1938 kennengelernt?

 

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1. Porschdorf, Aussenlager des KZ Flossenbürg

 

2. Zeitgenössische Fotographien, Bad Schandau

Der Hillehof                                                                                                           Villa Mimosa  

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Erholungsheim des N.S. Lehrerbundes                                                                Jugendherberge Paul Zacharias

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Ernst Wilhelm Bohle auf der Anklagebank im Nürnberger Kriegsverbrecherprozess

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